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Komplexität erfordert systemische Kompetenz

Von Einstein stammt das Bonmot, man solle die Dinge so einfach wie möglich machen, aber nicht einfacher. Er spricht damit die Aufgabe an, in einer komplexen Welt handlungsfähig zu bleiben, indem man 'nützliche Vereinfachungen' vornimmt. Er warnt gleichzeitig mit dem zweiten Teil des Satzes vor 'schrecklichen Vereinfachern' (1), die mit simplen Weltbildern 'die Wahrheit' hinter der oftmals verwirrenden Vielfalt des Lebens erkannt zu haben glauben.

In der Tat haben wir in unserer Welt eine ganze Reihe 'verzwickter Probleme' (2), mit denen wir schlecht umgehen können. Die größte Herausforderung ist wohl die Klimakrise, aber sie ist nicht die einzige. Nun ist die Situation auf unserem Planeten inzwischen gut erforscht und man kann nicht sagen, dass wir über zu wenig Wissen verfügen, um angemessen handeln zu können. Dennoch machen die meisten Menschen wenig Gebrauch davon. Abgesehen von einer Reihe von Wissenschaftlern, Intellektuellen und Andersdenkern werden von vielen Menschen zur Lösung der Lebensaufgaben überholte oder unbrauchbare Denk- und Verhaltensmuster praktiziert. Das stärkste Argument, warum das so ist, wird von D. Kahnemann (3) geliefert: es ist bequemer, so weiterzumachen wie bisher. Sich zu verändern macht Mühe und braucht Zeit. Und der Nutzen ist zunächst nicht erkennbar. Dennoch: es lohnt sich.

Vor kurzem beobachtete ich eine Person, die an einem Tankautomaten versuchte, eine Quittung für ihr getanktes Benzin zu erhalten. Ich kannte den Automaten und wusste, dass schon seit Längerem der Quittungsausdruck nicht funktioniert. Die Person versuchte immer und immer wieder durch Drücken einer Taste an die Quittung zu kommen. Der Automat piepste und piepste und tat sonst nichts. Es dauerte mehrere Minuten bis dieser Mensch aufgab und kopfschüttelnd wegfuhr. Mensch und Maschine haben sich in einem Kreis bewegt. Auf immer dieselben Handlungen des Menschen hat die Maschine mit immer derselben Aktion reagiert. Der Mensch hat nach jedem Durchgang 'Drücken - Piepen' sein Ziel nicht erreicht. Dennoch wiederholte er seine erfolglose Handlung, ja, er versuchte sogar, durch besonders festes Drücken auf die Taste zum Ziel zu kommen. Anstatt etwas anderes zu versuchen, hat dieser Mensch das Muster 'Mehr-desselben' praktiziert und ist damit gescheitert. Indianische Weisheit: 'Reite kein totes Pferd'. Systemischer Rat: 'Wenn etwas nicht funktioniert, versuch etwas Anderes'.

Wenn Denk- und Verhaltensmuster bisher geholfen haben, in der Welt zurechtzukommen, muss das nicht auch in Zukunft so sein. Die simple Frage 'Geht das nicht auch anders?' kann zu Lösungen führen, die einfacher, schneller und hilfreicher sind als das, was ich bisher getan habe. Das von der Politik so gern benutzte Mantra 'alternativlos' (4) zählt daher zu den 'schrecklichen Vereinfachungen', von denen Watzlawick spricht. Beharren auf einmal getroffenen Entscheidungen und Festhalten an früher hilfreichen Problemlösungen gehen einher mit dem Ausblenden neu entstandener Wege und Möglichkeiten, für das der Begriff 'Pfadabhängigkeit' (5) eingeführt wurde. Und so sind viele Menschen deshalb nicht so erfolgreich, weil sie in ihren Pfaden/Mustern sich selbst eingeschlossen haben: 'locked-in'. Den Weg aus dieser selbst verschuldeten Einengung formuliert Heinz von Foerster mit seinem ethischen bzw. kybernetischen Imperativ: "Handle stets so, dass sich die Anzahl deiner Möglichkeiten vergrößert." (6)

Dass diese Aufforderung in der deutschen Politik bisher wahrgenommen oder umgesetzt wurde, kann man nicht behaupten. Doch es gibt Länder, die sich auf einen anderen Weg machen. So fand ich im Internet einen Hinweis auf eine Aktion tasmanisch/australischer Institutionen, die ihre Bürger dazu anregen, systemischer zu denken. (7) Dem ist nichts hinzuzufügen. Das einzige, was man jetzt noch tun muss ist: Üben, üben, üben.

1 siehe II,4 in: P. Watzlawick/J.H. Weakland/R. Fish: Lösungen. Zur Theorie und Praxis menschlichen Wandels. Bern 1974
2 https://en.wikipedia.org/wiki/Wicked_problem (besucht am 21.8.2021)
3 D. Kahnemann: Schnelles Denken, Langsames Denken. München 2012
4 https://de.wikipedia.org/wiki/Alternativlos (besucht am 21.8.2021)
5 z.B. https://de.wikipedia.org/wiki/Pfadabh%C3%A4ngigkeit und https://www.researchgate.net/publication/265254569_In_der_Sackgasse_Organisationale_Pfadabhangigkeit_und_ihre_Folgen (besucht am 21.8.2021)
6 H.v. Foerster: Wissen und Gewissen. Versuch einer Brücke. Frankfurt a.M. 1993, auch: H.v. Foerster/B. Pörksen: Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners. Gesprüche für Skeptiker. Heidelberg 1998
7 hier das Plakat und meine Übersetzung zum download [Plakat Tasmanien] [Plakat deutsch]